Der Autor als SchЖpfer der
Welt Nabokov: Die spДten Romane in
der deutschen Werkausgabe
Von Lutz Wendler
Selbst John Updike, treuer Leser und
begeisterter Rezensent der Prosa Vladimir Nabokovs, war
ratlos. Nach der LektЭre des Romans "Durchsichtige Dinge", der
1972 erschienen war, gestand der amerikanische Autor, dass er
"diese rДtselhafte kleine ErzДhlung" nicht verstehe. Auch
Nabokovs letzter Roman, "Sieh doch die Harlekine!" (1974),
irritierte wohlmeinende Kritiker. Brian Boyd berichtet in
seiner Эberragenden Nabokov-Biografie von gemischten
Reaktionen: Geklagt hДtten vor allem die Kenner. Boyd selbst
fand die "Harlekine" etwas manieriert.
Neben
Hauptwerken wie "Lolita", "Pnin", "Fahles Feuer" und "Ada"
sind die letzten zwei Romane in Vergessenheit geraten. Zu
Unrecht, wie der Band 12 der Gesammelten Werke bei Rowohlt
beweist. Und das ist einmal mehr auch ein Verdienst des
Herausgebers Dieter E. Zimmer, der in seinen Nachworten Wege
durch Nabokovs spДte Spiegelkabinette weist. Derartige
UnterstЭtzung ist unerlДsslich bei einem Autor, bei dem der
Leser zuweilen in metaphysische AbgrЭnde schaut, wДhrend er
nur die scheinbar simple Frage nach dem ErzДhler der
Geschichte zu ergrЭnden versucht. Zimmer hat zudem in
detektivischer Kleinarbeit beide Romane in eine Chronologie
gebracht, was insbesondere bei dem wenig transparenten Roman
"Durchsichtige Dinge" eine groъe Hilfe ist.
Die
Hauptfigur in dem kurzen Roman heiъt Hugh Person, ist aber
eher eine Unperson. Die Lebensgeschichte dieses seltsamen
Amerikaners wird in vier markanten Schweizer Episoden erzДhlt.
Doch neben die Klarheit der Vita eines Mannes, der eine
eigentlich unerreichbare Frau heiratet und sie unabsichtlich
tЖtet, treten diffuse Abschnitte, die aus einer anderen Welt
zu stammen scheinen. Zimmer erinnert daran, dass Nabokov gegen
seine Gewohnheit in einem Zeitungsinterview Lesehilfe gab:
"Durchsichtige Dinge" ist eine Geistergeschichte, ein Spiel,
in dem die Toten als kЖrperloses Bewusstsein weiter
existieren, ohne Einfluss auf den Lauf der Welt. Wer aber ist
derjenige in der Geschichte, der all dies zusammenhДlt und
erzДhlen kann? SelbstverstДndlich der groъe SchЖpfer, der
Autor selbst, der als Adam von Librikov, ein Anagramm von
Vladimir Nabokov, im Text auftaucht. Die Welt wird zum Roman.
Der SchlЭssel zu "Sieh doch die Harlekine!", so lДsst
uns Zimmer wissen, ist Nabokovs Erbitterung Эber seinen ersten
Biografen Andrew Field, der sich selten an die Fakten hielt.
Nabokov, der grundsДtzliches Misstrauen gegen Biografen hegte,
erfand danach ein "negatives Double" seiner selbst mit Namen
Vadim, dessen Leben zum Zerrbild der Biografie seines
SchЖpfers wird.
Von den 24 BДnden der Werkausgabe
stehen noch sechs aus. SpДtestens Anfang 2004 soll Band 21
erscheinen, eine Fortsetzung zu "Deutliche Worte" mit
Interviews, Feuilletons, Rezensionen, Essays, darunter einige
ErstverЖffentlichungen aus dem Manuskriptnachlass.
Vladimir Nabokov, "SpДte Romane: ,Durchsichtige
Dinge', ,Sieh doch die Harlekine!'", Rowohlt Verlag, 549
Seiten, 28 Euro.
Horst Tappe, "Nabokov", Fotoband,
Christoph Merian Verlag, 17 Euro.
Auъerdem
empfehlenswert: Vladimir Nabokov, "Pnin", gelesen von Ulrich
Matthes, 6 CDs, Der Audio Verlag, 32,95 Euro.
erschienen am 7. Jan 2003 in Kultur /
Medien
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